
Ackerwissen: Warum wir die Gemüse-Jungpflanzen zukaufen
Einer unserer größten Ausgabenposten jedes Jahr ist der Zukauf von Bio-Gemüsejungpflanzen von der Gärtnerei Homann in der Nähe von Verden an der Aller. In der Solawi-Gärtnerei auf Hof Quellen ziehen wir nur ganz wenige Jungpflanzen selbst vor: Kürbis-Sondersorten, Blühpflanzen und neuerdings Teile des Postelein-Salats.
Warum ziehen wir die Jungpflanzen nicht (überwiegend) selbst vor?
So ziemlich jede Gärtnerin und jeder Gärtner träumt davon, möglichst viele Jungpflanzen selbst anzuziehen und jedes Gemüse wirklich vom Samen bis zur Ernte zu begleiten. So auch wir. Aber, wie in sehr vielen Gärtnereien und Solawis, ist es eine Mischung aus höheren Kosten, fehlender Infrastruktur und fehlendem Know-How, die uns bisher davon abhält.
Insbesondere fehlt es an passender Infrastruktur in Form von einem oder zwei spezialisierten und teilweise beheizbaren Gewächshäusern plus ggf. weiterem Spezialequipment wie z.B. einer Erdpresstopfmaschine oder verschiebbaren Anzuchttischen.
Mittelfristig wollen wir auch mehr Gewächshäuser in der Gärtnerei haben, allerdings haben wir da zunächst großen Bedarf an Folientunneln, um noch mehr tolles Sommergemüse (und leckeren Feldsalat im Winter und Spinat im Frühling) anbauen zu können. Außerdem braucht auch der Boden im Gewächshaus mal eine Pause vom intensiven Anbau – aber auch für einen regelmäßigen Zwischenfrucht- und Gründüngungsanbau im Folientunnel braucht es zunächst: mehr Folientunnel! Die eigene Anzucht von Jungpflanzen rangiert deshalb in der Prioritätenliste eher auf einem langristigeren, hinteren Platz.

Dass es möglich ist, teilweise, überwiegend oder auch komplett mit selbst gezogenen Jungpflanzen zu gärtnern zeigen viele Gärtnereien – insbesondere kleine Solawis und kleine Marktgärtnereien. Hier besteht teilweise (z.B. wegen Mindestabnahmemengen) gar keine Option für einen Zukauf, so dass von Anfang an mit eigenen Pflanzen gearbeitet werden muss. Probleme wie z.B. das Beheizen des Anzuchthauses und das Schaffen verschiedener Klimazonen werden häufig ohne große Kosten durch altbewährte Hilfsmittel gelöst: (Pferde-)Mistbeete im Anzuchthaus strahlen jede Menge Wärme ab – mit Glasscheiben (Frühbeetkästen), Folien und Wärmevliesen werden verschiedene Temperaturbereiche innerhalb eines Gewächshauses geschaffen, um von sehr warm (Keimung wärmeliebender Samen bei über 20 Grad) bis kühl (zur Abhärtung vor dem Auspflanzen) alle Anforderungen zu erfüllen.

Welche Gemüse werden überhaupt vorgezogen? Kann man nicht alles direkt säen?
Im Erwerbsgemüseanbau werden die meisten Gemüsearten vorgezogen und dann als Jungpflanzen ins Beet gepflanzt – bei manchen Gemüsen macht eine Anzucht aber auch wirtschaftlich keinen Sinn, sie werden direkt gesät.
Typische Säkulturen, also Gemüse, die sich für Direktsaat eignen und bei denen eine Anzucht von Jungpflanzen sehr unüblich wäre, sind Möhren, Radieschen, Pastinaken, Petersilienwurzeln, Dicke Bohnen, Rettich, Schwarzwurzeln, Knoblauch (der wird meist gesteckt) und Steckzwiebeln.
Typische Gemüse, die sowohl gesät als auch gepflanzt werden können, sind Rote Bete, Spinat, Busch- und Stangenbohnen, Erbsen, Zuckermais, Zwiebeln, Feldsalat, Schnittsalate (inkl. Asia-Salaten, Rucola) und viele Kräuter wie Dill, Koriander, Petersilie, Rübchen (Mai- oder Herbstrüben), Zucchini, Kürbisse und Freilandgurken. Wir haben viele dieser flexiblen Kulturen in manchen Jahren gesät, in anderen gepflanzt oder beides parallel verglichen, z.B. bei Spinat, Rote Bete, Mais, Schnittsalaten, Rübchen und Kräutern. Unsere Tendenz geht meistens zur Pflanzung, da die größeren Pflanzen uns einen händischen Durchgang beim Jäten und Hacken ersparen (sie haben ja schon einen guten Wachstumsvorsprung vor dem Unkraut), was für uns wirtschaftlich mehr Sinn macht, da wir recht gute (=hohe) Löhne zahlen.

Typische Pflanzkulturen, für die eine Anzucht von Jungpflanzen dringend zu empfehlen ist, sind Salatköpfe aller Art, fast alle Kohlgewächse (von Kohlrabi über Brokkoli bis Rosenkohl), Fenchel, Sellerie, Tomaten, Auberginen, Gurken, Paprika, Chili und Porree.
Eine gute Übersicht, welche Gemüse gut direkt gesät werden können gibt es auch hier bei der Bingenheimer Saatgut AG.
Ein absolutes Multi-Gemüse ist die Zwiebel; sie wird sowohl gesteckt als auch direkt gesät (Zwiebelsamen sind klein, schwarz und länglich, nicht zu verwechseln mit den Steckzwiebeln, die einfach kleine, unfertige Zwiebeln sind) aber auch häufig gepflanzt (dabei werden für die Anzucht mehrere Samen in ein Töpfchen gesät). Wir bauen in der Solawi bis August/September selbst Zwiebeln (und Lauchzwiebeln) an, danach folgen die Lagerzwiebeln, die wir von unserem direkten Bio-Nachbarn, dem Hermannshof, zu einem solidarischen Preis zukaufen. Auf dem Hermannshof wurden die Zwiebeln früher immer gepflanzt, seit 2023 werden sie aus Kostengründen direkt gesät. Womit wir beim nächsten Thema wären…

Was kostet eine Gemüsejungpflanze und wie haben sich die Preise entwickelt?
Die Kosten für Gemüsejungpflanzen waren viele Jahre relativ stabil. Während der Covid-Pandemie gingen die Preise durch Lieferengpässe und teils stark gestiegene Nachfrage nach oben, seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die kleinen Pflänzchen noch einmal deutlich teurer geworden. Ein weiterer Grund für höhere Kosten ist der deutlich gestiegene Mindestlohn, was ja eine gute Sache ist!
Zur Illustration haben wir sechs für uns typische Gemüse ausgewählt, um den gestiegenen Aufwand für die Jungpflanzenproduktion, der sich ja auch in unserem Wirtschaftsplan widerspiegelt, zu veranschaulichen.
Für eine Tomatenjungpflanze haben wir 2018 rund 1,17 Euro bezahlt. Der Preis ist über 1,53 (2020) und 1,62 (2022) auf aktuell 1,90 Euro gestiegen, insgesamt über acht Jahre um 62 Prozent.
Eine Salatpflanze (Kopfsalat, Batavia, Eissalat o.ä.) kostete 2018 6,8 Cent. Der Preis ist über 7 Cent (2020) und 7,6 Cent (2022) auf aktuell 9 Cent gestiegen; eine Steigerung über acht Jahre um 32 Prozent.
Für eine Kohlrabipflanze haben wir 2018 rund 8,4 Cent bezahlt. Der Preis ist über 8,8 (2020) und 8,9 (2022) auf aktuell 10 Cent gestiegen, insgesamt über acht Jahre um moderate 22 Prozent.
Spinatpflanzen hingegen sind heute rund 54 Prozent teurer als 2018. Der Preis lag 2018 und 2020 fast konstant bei ca. 3,5 Cent, stieg dann 2022 auf 3,9 Cent und beträgt heute fast 5,5 Cent.
Ein Porreepflänzchen kostete 2018 4,2 Cent, 2020 4,9 und 2022 6,5 Cent. Aktuell liegt der Preis bei 7,6 Cent und damit 82 Prozent höher als 2018.
Eine Feldsalatpflanze kostete 2018 2,7 Cent. Der Preis ist über 2,8 Cent (2020) und 3,4 Cent (2022) auf aktuell stolze 5,5 Cent gestiegen. Insgesamt hat sich der Jungpflanzenpreis beim Feldsalat in acht Jahren fast verdoppelt.
Unser Lieblingssalat wird langsam zum Luxusgut!
Da wir aktuell bereits allen Feldsalat abgeerntet haben, können wir ziemlich genau berechnen, wie teuer allein der Anteil der Jungpflanzenkosten für ein Kilo Feldsalat ist: Wir haben 51.000 Pflanzen gekauft, davon rund 500 Kilo geerntet. Nehmen wir an, wir haben nächsten Winter den selben Ertrag (und wir planen auch wieder mit rund 51.000 Pflänzchen): das ergibt bei einem Preis von 5,5 Cent pro Pflanze Kosten von 5,60 Euro pro Kilo Feldsalat allein für die Jungpflanzen – die ganze Handarbeit fürs Pflanzen und Ernten sowie Beetvorbereitung, Gewächshaus, Kommissionieren und Ausliefern kommt noch obendrauf.

Für die neue Saison planen wir mit rund 24.000 Euro Jungpflanzenkosten insgesamt. 2020 kamen wir noch mit ca. 16.000 Euro hin. Die Jahre lassen sich ganz gut vergleichen, da wir seit 2019 jedes Jahr immer ungefähr bei 100 Tonnen Gemüse (knapp 50 Tonnen Gewichtsgemüse und gut 100.000 Stückgemüe) landen, die wir insgesamt ernten wie unsere Allzeit-Lieferstastistik zeigt..
Saatgut ist übrigens auch teurer geworden. Bei unserer Lieblingsbezugsquelle Bingenheimer Saatgut kosten Möhrensamen aktuell rund 48 Prozent mehr als 2018, Radieschen sind um 39, Zuckermais um 23 und Rote Bete um 16 Prozent teurer geworden. Bei den drei großen Saatgutfirmen Enza, Rijk Zwan und Bejo (deren Samen über die Jungpflanzen in den meisten unserer Gemüse stecken) waren grob überschlagen ähnlich Kostensteigerungen zu verzeichnen. Das Saatgut für unsere Haupt-Tomatensorte „Devotion F1“ beispielsweise ist aktuell knapp 30 Prozent teurer als 2018. Ein Samenkorn kostet rund 80 Cent!
Text und Bilder: Wendelin Sandkühler